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Quadriennale Düsseldorf 2014: „Smart New World“ – Die KUNSTHALLE thematisiert die digitale Welt

 

KUNSTHALLE Düsseldorf

Quadriennale Düsseldorf 2014

Smart New World

5. April – 10. August 2014

 

Xavier Cha (US), Simon Denny (1982, NZ), Aleksandra Domanović (1981, SI), Omer Fast (1972, IL), Christoph Faulhaber (1972, D), Kenneth Goldsmith (1961, US), International Necronautical Society, Korpys/Löffler (1966/1963, DE), Trevor Paglen (1974, US), Laura Poitras (1964, US), Tabor Robak (1986, US), Santiago Sierra (1966, ES), Taryn Simon (1975, US)
 
 

International Necronautical Society INS-Erklärung zur Uneigentlichkeit, Tate Britain, London 2009, Foto: INS Department of Propaganda, © 2014 Richard Eaton/Tate, Courtesy International Necronautical Society INS-Declaration of Inauthenticity, Tate Britain, London 2009, Photo: INS Department of Propaganda, © 2014 Richard Eaton/Tate, courtesy of International Necronautical Society
International Necronautical Society
INS-Erklärung zur Uneigentlichkeit, Tate Britain, London 2009, Foto: INS Department of Propaganda, © 2014 Richard Eaton/Tate, Courtesy International Necronautical Society
INS-Declaration of Inauthenticity, Tate Britain, London 2009, Photo: INS Department of Propaganda, © 2014 Richard Eaton/Tate, courtesy of International Necronautical Society

 
Die Wahrheit ist: Der Industriekapitalismus wandelt sich zum digitalen Kapitalismus. Das ändert die Lage.[1] Der Binär-Code regiert die Welt. Der informations- und kommunikationstechnische Umbruch revolutioniert Wirtschaft und Gesellschaft.[2] Was heißt es, ein Individuum in der Informationsgesellschaft zu sein? Denn eine Informationsgesellschaft ist immer auch eine Überwachungsgesellschaft. Nicht die Information bringt die Überwachung hervor, sondern die Überwachung die Information: Sobald menschliche Äußerungen und Regungen quantifizierbar werden, werden sie aufgezeichnet, um irgendwo etwas ökonomisch, bürokratisch oder ideologisch zu optimieren.[3] Spätestens seit Edward Snowden die breitflächige Überwachung des US-Geheimdienstes aufgedeckt hat, ist für die Post-Privacy-Denker klar: Die Privatsphäre ist tot, die NSA hat lediglich noch ihren Stempel daruntergesetzt.[4] Leistungsfähige Computer wissen manchmal mehr über uns als wir selber. Die Speicherkapazität dieser Systeme wächst jedes Jahr kontinuierlich um das Zehnfache. Es kommt so weit, dass man nichts Verbotenes getan haben muss; es reicht, dass man jemandem irgendwann verdächtig vorkommt, selbst wenn es sich dabei um einen Irrtum handelt, und dann können sie das System nutzen, um in die Vergangenheit zurückzuschauen und jede Entscheidung zu überprüfen, die irgendwann getroffen hat, jeden Freund, mit dem man einmal etwas diskutiert hat, und sie können einen auf dieser Grundlage angreifen, um aus einem unschuldigen Leben irgendwie einen Verdacht zu konstruieren und jedermann als Täter darzustellen.[5] In der Zukunft der modernen Kriegsführung, zumindest darin sind sich die meisten Experten einig, werden drei Buchstaben eine entscheidende Rolle spielen: NCW für Network Centric Warfare. Dahinter verbergen sich Netzwerke, die Einheiten untereinander und mit ihren Kommandeuren verbinden – und ihnen damit die Möglichkeit zur schnellen, flexiblen und asymmetrischen Kriegsführung bieten. Das Ziel ist dabei klar formuliert: Informationsüberlegenheit über den Feind.[6]

Die Bezeichnung »Big Data«, als ein Begriff aus dem Wirtschaftsjargon und mehr noch als Beschwörung eines kommenden Zusammenbruchs, ist schnell langweilig geworden. Doch die enorme Ausweitung der Bandbreite und Tiefe von Informationen über unser Verhalten, die routinemäßig erfasst werden, und die neuen Analysemöglichkeiten, die dadurch entstehen, lassen sich nicht leugnen. Einer Schätzung zufolge werden derzeit mehr als 98 Prozent der weltweiten Informationen digital gespeichert, und dieses Datenvolumen hat sich seit 2007 vervierfacht. Ein großer Teil dieser Daten wird von gewöhnlichen Menschen am Arbeitsplatz und zu Hause erzeugt, indem sie E-Mails verschicken, im Internet surfen, sich in sozialen Netzwerken bewegen, an Crowdsourcing-Projekten arbeiten und vieles mehr – und indem sie dies tun, haben sie unwissentlich dazu beigetragen, ein großartiges neues gesellschaftliches Projekt zu starten. Wir befinden uns inmitten eines großen Infrastrukturprojekts, das in gewisser Hinsicht denen der

Vergangenheit – von den römischen Aquädukten bis zur Encyclopédie der Aufklärung – gleichkommt.[7] Das digitale Spiegelbild des Gegenwartsmenschen ist in Hunderte Einzelteile zersplittert.[8]

Das Wissen im Internet ist dynamisch. Es ist flüchtig. Es ist volatil. Es ändert jeden Tag seine Gestalt. Wir wissen wenig über seine Quellen, über die dahinterstehenden Interessen und seine Glaubwürdigkeit.[9] Die Folge ist eine zunehmende Copy-and-paste-Kultur ohne echte Aneignung des Inhalts.[10] Informationen wollen gratis sein. Gleichzeitig wollen Informationen teuer sein. Informationen wollen gratis sein, weil es so billig geworden ist, sie zu verbreiten, zu kopieren und neu zusammenzustellen – zu billig, um messbar zu sein. Sie wollen teuer sein, weil sie für den Empfänger unermesslich wertvoll sein können. Diese Spannung wird sich nicht auflösen.[11]

 Im Fokus der Ausstellung Smart New World steht der grundlegende, die Gesellschaft radikal verändernde Prozess der Digitalisierung – die Auflösung und Überführung analoger Informationen in digitale Codes zum Zweck ihrer Speicherung und Weiterverarbeitung. Die eingeladenen Künstlerinnen und Künstler nutzen die rasanten Entwicklungen der digitalen Technologie nicht nur als Inspiration für ihre Bildwelten, sondern reflektieren vor allem deren kulturelle, gesellschaftliche und politische Dimension.

Scharfsinnig, kritisch und auch humorvoll widmen sich die unterschiedlichen Arbeiten den Möglichkeiten, Visionen und Gefahren der Digitalisierung. Dabei wird die staatliche und ökonomische Zensur, die einen Angriff auf demokratische Wissensproduktion und die Privatsphäre jedes Einzelnen bedeutet genauso in Augenschein genommen, wie die Auswirkungen des Internets auf unsere Denk- und Wissensstrukturen. Alle Werke verbindet ihr investigatives Potenzial.

 

Die International Necronautical Society (INS), ein neoavantgardistisches, streng hierarchisch organisiertes Netzwerk von Künstlern, Schriftstellern und Philosophen, hat ein komplexes Einlassverfahren für die Ausstellung entwickelt, bei dem jeder Besucher mit seiner Unterschrift einen Verbrauchervertrag auf Basis der philosophischen Doktrin der INS abschließen muss. Die Unterzeichnung dieser Erklärung, die auf den Bedingungen der digital-kapitalistischen Gegenwart basiert, ist unabdingbare Voraussetzung für den Besuch der Ausstellung.

Christoph Faulhabers filmische Künstlerbiografie erzählt unter anderem von seinen unbequem provokativen Performances, mit denen er die Funktionsweise staatlicher Überwachungsapparate vorführt, während das Künstlerduo Korpys/Löffler unter Anwendung nachrichtendienstlicher Methoden die neue Zentrale des deutschen Geheimdienstes in Berlin selbst überwacht und dokumentiert. Die Filme von Omer Fast und Santiago Sierra wiederum thematisieren auf sehr unterschiedliche, aber gleichermaßen eindringliche Weise den digital gesteuerten Drohneneinsatz, der für die moderne Kriegsführung bestimmend ist. Im Zentrum von Trevor Paglens aufwendig recherchierten Arbeiten steht dagegen der weitgehend unbekannte und unsichtbare, aber gleichwohl gigantische physische Teil des US-Militärs und der Geheimdienste, wie beispielsweise Gebäude oder Satelliten. Laura Poitras, die neben Glenn Greenwald die erste Person war, die Zugriff auf die von Edward Snowden zur Verfügung gestellten Dokumente der globalen Überwachungs- und Spionageaffäre hatte, zeigt Filmmaterial über den Neubau des NSA Überwachungsgebäudes in Bluffdale, Utah, das sie viele Jahre lang dokumentiert hat. Kenneth Goldsmith hingegen nimmt das utopische Potenzial des Internets ernst und engagiert sich für Informationsfreiheit und Bildungsgleichheit, indem er privatisierte Informationen zu einem öffentlichen Gut erklärt. Gleichzeitig macht er auf die schier unerschöpfliche digitale Datenflut aufmerksam, der kein Mensch jemals Herr werden kann. Taryn Simon unterzieht ihrerseits die Bilderflut des Internets einem konzeptuellen Eingriff, der deutlich macht, dass Suchmaschinen niemals »neutral« operieren und unsere Vorstellungswelt erheblich bestimmen. Auch Aleksandra Domanović legt offen, wie der schlagwortbasierte Wissenserwerb unser Denken und unsere Wahrnehmung beeinflussen, und Xavier Cha überträgt in einer ausstellungsbegleitenden Performance die oft zwanghaft repetitive Nutzung digitaler Medien in eine Choreographie. Tabor Robak führt die Verführungsstrategien der Werbung mittels der Möglichkeiten digitaler Bildproduktion vor. Simon

Tabor Robak Filmstill aus 20XX, 2013, Courtesy Team Gallery, New York Filmstill aus Xenix, 2013, Courtesy Team Gallery, New York Film still from 20XX, 2013, courtesy Team Gallery, New York Film still from Xenix, 2013, courtesy Team Gallery, New York
Tabor Robak
Filmstill aus 20XX, 2013, Courtesy Team Gallery, New York
Filmstill aus Xenix, 2013, Courtesy Team Gallery, New York
Film still from 20XX, 2013, courtesy Team Gallery, New York
Film still from Xenix, 2013, courtesy Team Gallery, New York

 

Korpys/Löffler Personen Institutionen Objekte Sachen, 2014 Installationsansicht Kunsthalle Düsseldorf © VG Bild-Kunst, Bonn 2014 Foto: Achim Kukulies
Korpys/Löffler
Personen Institutionen Objekte Sachen, 2014
Installationsansicht Kunsthalle Düsseldorf
© VG Bild-Kunst, Bonn 2014
Foto: Achim Kukulies

 

 Denny schließlich macht in seinem Beitrag Hardware zu Skulptur und thematisiert die Bedeutung von technischer Entwicklung, Kommunikation und Interface. Sein massiver Block aus gequetschten Fernsehgeräten und Bildern analoger Fernseher auf bedruckten Leinwänden stellt visuell wie inhaltlich eine Verbindung zur raumgreifenden Blackbox im Eingangsbereich her, in der die INS die gesammelten Unterschriften der Besucher archiviert: Diese Blackbox ist Teil eines Systems, das nur über die Benutzeroberfläche – das Interface – Kommunikation und Transferleistungen ermöglicht, ohne die inneren Vorgänge sichtbar zu machen.

Simon Denny Analogue Broadcasting Hardware Compression, 2013, Courtesy Alastair Cookson und Galerie Buchholz, Berlin/Köln Installationsansicht Foto: Achim Kukulies
Simon Denny
Analogue Broadcasting Hardware Compression, 2013,
Courtesy Alastair Cookson und Galerie Buchholz, Berlin/Köln
Installationsansicht
Foto: Achim Kukulies

 

Kuratiert von Elodie Evers und Magdalena Holzhey